Life Instructor

Wie innen, so außen

Wenn du dich nicht selbst liebst/respektierst, kannst du auch nicht erwarten, dass jemand anderes dich liebt/respektiert.

Diese Lebensweisheit haben wir alle schon gefühlt tausende Male gehört oder gelesen. Warum schaffen wir es also nicht, diesen zweifelsohne korrekten und intellektuell gut zugänglichen Satz umzusetzen? Um das zu verstehen, rufe dir noch einmal meine Ausführungen im Abschnitt Das kleine, unsichere Ich in Erinnerung. Dieses angstgetriebene Ich kann sich nicht lieben, will aber unbedingt geliebt werden. Mache dir dieses gigantische Dilemma für das kleine, einfach gestrickte Wesen klar: die Anweisung lautet: "Wenn du A tust, wirst du B bekommen" - angesichts der Tatsache, dass A unmöglich aber B der größte Wunsch ist, muss diese Anweisung wie Hohn klingen. Um diese Schwäche nicht zu offenbaren, sendet das kleine Ich natürlich eine falsche Botschaft nach außen: "Ich liebe mich doch, also nerve mich nicht mit diesen abgenutzten Kalendersprüchen!"

Und so lebt dieses bedauerliche Geschöpf in unserem Unterbewusstsein in einem ständigen Gefühl des Mangels. Immer fehlt noch etwas zum Glück und nie fühlt es sich vollständig. Also versucht es, sich im Außen zu vervollständigen, was natürlich niemals erreicht werden kann - es gibt nur "mehr" aber nicht "voll" oder "komplett". Immerhin vermittelt das "mehr" eine Illusion von näher am "komplett", daher findet es dadurch seine (natürlich nur vorübergehend wirksame) Ersatzbefriedigung. Sei es die teure Uhr/das neue Auto oder das wunderschöne Schmuckstück/die neuen Schuhe - immer versucht das kleine Ich nach innen, sich aufzuwerten und findet nach außen scheinbar sinnvolle Erklärungen, z.B. technische Daten oder prominente Vorbilder. Meistens muss es sich dabei gar nicht viel Mühe geben, denn es stößt in der Regel auf sehr viel Verständnis - oder Neid, beides ist willkommen.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, war (und ist teilweise immer noch) die Kontrolle durch das Unterbewusstsein überlebensnotwendig: in Gefahrensituationen ist es hilfreich, die Entscheidungsvielfalt auf "Angriff" oder "Flucht" einzugrenzen. Das Fehlen echter Gefahren lässt die übrig gebliebene Schein-Gefahr, als schwach entlarvt zu werden, für das kleine angstgetriebene Ich noch größer erscheinen. Als Gegenmaßnahme werden die gelernten Mechanismen angewendet. Der Angriff bei Menschen, die besonders hart an sich arbeiten (z.B. im Fitness-Studio) oder besonders erfolgreich im Beruf werden, auf ihr Äußeres und ihre Kleidung achten und immer auf dem Laufenden sind, was gerade "hip" ist. Die Flucht bei Menschen, die gerne in Fantasy-Welten abtauchen (Bücher, Serien, Spiele) oder sich dem Genuß hingeben (Essen, Trinken, Rauchen) und generell eher weniger auf ihre optische Erscheinungsform achten. Natürlich sind auch Mischformen möglich. Ähnliche Muster sind dann auch bei der Partnerwahl erkennbar: Ob ein attraktiver Partner als Trophäe oder ein eher schüchterner Mensch, der sich leichter kontrollieren lässt - das wichtigste Auswahlkriterium ist die starke Kontrolle durch das kleine schwache Ich, das zum eigenen kleinen schwachen Ich passt.

Wie innen, so außen, Teil 2

Wenn du dich nicht selbst liebst/respektierst, kannst du auch niemand anderen lieben/respektieren.

Ist dir der kleine, aber feine Unterschied aufgefallen? Die Richtung der Gefühle im Außen kann auch umgekehrt werden und die Aussage bleibt trotzdem richtig. Diesen "Spruch" findet man allerdings schon deutlich seltener, da er eine fortgeschrittene Form der geistigen Offenheit verlangt. Um ihn nachvollziehen zu können, musst du wirklich bereit sein, dich von deinem "Schatten-Ich" zu lösen. Das kleine Problem dabei: der Schatten liest mit. Sei also darauf vorbereitet, dass er jede entlarvende Information diskreditieren wird. Du kannst dieser Gefahr begegnen, indem du einen ungewohnten Gedanken, eine scheinbar absurde Sichtweise einfach mal zulässt. Betrachte es als Gedankenspiel, bei dem du nichts verlieren kannst - aber sehr viel gewinnen.

Mein obiger Hinweis, die Aussage sei trotz Richtungsumkehr immer noch richtig, ist übrigens eine gewaltige Untertreibung. Sie birgt eine tiefe Weisheit und ein riesiges Potential für das kleine Ich, seine Angst zu verlieren. Es wird sich allerdings mit Händen und Füßen dagegen wehren, denn wie so oft im Leben ist die Reinigung ein schmerzhafter Prozess. Und auch im Außen würde diese Erkenntnis auf heftigen Widerstand stoßen, denn sie rüttelt an dem Fundament, auf dem wir unsere scheinbare Sicherheit in dieser oft feindseligen Welt aufgebaut haben.

Wenn wir diesen Gedanken nun spaßeshalber einfach mal zulassen, bedeutet er ja, dass wir sogar die Menschen in unserem nächsten Umfeld nicht wirklich lieben: unsere Familie, enge Freunde, den Partner. Das ist ein so radikaler Gedanke, dass wir ihn selbst in unserem Kopf kaum ausformulieren möchten, geschweige denn ihn laut zu äußern. Ob zumindest ein Hauch von Wahrheit an dieser These sein könnte, kannst du ganz einfach überprüfen. Greife dir gedanklich einen dieser dir nahe stehenden Menschen heraus und überlege ganz ehrlich, ob du auf diesen Menschen schon einmal so richtig sauer warst. So sauer, dass du gedacht hast: "Der/die kann mir gestohlen bleiben!" Du wirst jetzt vermutlich wieder sagen, das sei doch menschlich und ganz normal. Die spannende Frage ist an dieser Stelle, ob DU das sagst oder dein kleines Ich, um sich zu rechtfertigen? Die noch spannendere Frage lautet:

Liebst du diesen Menschen, oder liebst du die Gefühle, die er/sie in dir auslöst?
smiley

Life Instructor


gnothi seauton